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    Abi 2002 -  Wilhelm hittorf Gymnasium
    Eine Reise ins Trentino: Impressionen einer Studienfahrt


        Kultur und Natur, Stadtbummel und Bergwanderung, sommerliche Wärme und bereits herbstliche Frische, deutsch sprechende Italiener und italienisch radebrechende Deutsche: es ist eine Studienfahrt der Gegensätze, die die Leistungskurse Erdkunde (Herr Maciey), Biologie (Herr Dr. Böttcher) und Mathematik (Herr Fleger/Frau Herrgen) mit insgesamt 42 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 13 des Wilhelm-Hittorf-Gymnasiums in der ersten Septemberwoche erstmalig ins Trentino nach Norditalien führt. Das Programm wird abwechslungsreich geplant: zwei Bergwanderungen, ein Besuch Venedigs, eine Fahrt zum Gardasee und eine Führung durch Bozen sollten jedem von uns etwas bieten.

        Nach einer fast 15-stündigen Fahrt ist es schon dunkel, und es regnet leicht, als der Bus sich ächzend und vorsichtig, immer wieder entgegen kommenden Autos ausweichend, die enge und kurvenreiche Gebirgsstraße südöstlich von Trento hinaufquält, die zu unserem Hotel Margherita führt, das wir zwar von Prospekten kennen, dem wir aber doch gespannt entgegen fiebern. Überaus freundlich, fast herzlich werden wir empfangen und sofort – es ist schon nach 9 Uhr abends – zum Essen gebeten. Ein reichhaltiges dreigängiges Menü entschädigt für die lange Reise; über die Niederlage der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen England – wir wurden regelmäßig per SMS informiert - sprechen wir an diesem Abend besser nicht!

        Nach einer tatsächlich ruhigen Nacht bricht der erste Tag an, und die Sonne lässt die Bergspitzen in der Umgebung rötlich erstrahlen. Erst jetzt bemerken wir, in welcher „Idylle“ wir untergekommen sind: das Hotel liegt mitten in einem Waldgebiet; weit und breit ist kein anderes Haus zu sehen, von Geschäften, kleinen Bars oder gar Diskotheken, die wir – mindestens aber die Schüler – abends sehr gerne hätten aufsuchen wollen, ganz zu schweigen. Dafür aber könnte man joggen oder Tennis spielen, es gibt einen Fußballplatz, ein Basketballfeld und – nicht unerwartet – einen geräumigen Swimmingpool.

        Sommerliche Temperaturen begleiten uns an diesem Sonntag an den Gardasee, nach Malcesine und Sirmione. Die Besichtigung der Scaligerburg in Malcesine gehört zum Pflichtprogramm, nicht nur, weil eine Gedenktafel an den möglicherweise nicht ganz freiwilligen Aufenthalt des durch Italien reisenden Goethe hier erinnert. Die einladenden Gassen mit den zahllosen Souvenirläden, kleinen Restaurants und Cafés verführen in beiden Orten zum Bummeln, und die südliche Sonne verleitet einige von uns zum Bad im noch warmen Gardasee.

        „Che cosa fate domani, was machen Sie morgen?“, fragt uns nach der Rückkehr der Hotelwirt Signor Angeli. Als ich ihm erzähle, dass wir Luserna besuchen wollen, ist er begeistert und überrascht zugleich, hat er doch nicht erwartet, dass jemand dieses verschlafene Bergdorf des alten Volksstammes der Kimbern überhaupt kennt. „Ich werde veranlassen, dass Sie vom Bürgermeister empfangen werden“, verspricht er. Ich war schon mehrmals dort, aber außer der Inhaberin einer kleinen Bar am Dorfplatz, die einen hervorragenden und dabei doch sehr preiswerten Cappuccino zubereiten kann, und einigen Bergbauern habe ich nie jemanden auch nur gesehen, geschweige denn gesprochen oder gar kennen gelernt.

        Schon die Busfahrt dorthin wird für viele von uns zu einem beeindruckenden Erlebnis: durch die Apfelplantagen des Brentatales führt uns der Weg über verschlafene kleine Dörfer mit prächtig blühenden Gärten in die Hochebene von Lavarone. Zahlreiche Serpentinen und Tunnel eröffnen immer wieder neue Ausblicke. Wir sehen kahle Bergspitzen, die in der Morgensonne strahlen oder Hänge mit dunklen Nadelwäldern, die bis ins Tal reichen, unterbrochen von saftigen Almen. Die wenigen Passanten unterwegs schauen interessiert auf: anscheinend kommt nicht oft ein deutscher Touristikbus in diese verlassene Gegend. Laut Karte führt nur eine einzige schmale Straße nach Luserna hinein, und nur dieselbe führt wieder aus dem Ort heraus – in umgekehrter Richtung. Luserna liegt am Ende dieser Sackgasse, mindestens eine halbe Autostunde vom nächsten Ort entfernt in 1500 m Höhe, umgeben von noch weit höheren Bergen. Der Busfahrer parkt in der Nähe des Dorfplatzes so, dass der Verkehr nicht gestört würde; aber es gibt ja keinen Verkehr! Etwas verloren irren wir auf dem menschenleeren Platz umher; ich finde die kleine Bar wieder und will gerade die anderen animieren, auch einen Kaffee zu trinken, als wir plötzlich mit großem Hallo begrüßt werden. „Ich bin Luigi Nicolussi – aber Nicolussi heißen wir hier fast alle – also ich bin Luigi Nicolussi Castellan, der Bürgermeister von Lusérn oder Luserna. Ich heiße Sie herzlich willkommen und lade Sie ein in das Gemeindehaus.“ Signor Angeli hat es also tatsächlich wahr gemacht und uns angemeldet. Die Euphorie des Bürgermeisters ist spürbar, und wir alle sind berührt, als er uns in nahezu einwandfreiem Deutsch vorträgt, mit welchen auch politischen, sogar europaweiten Schwierigkeiten das Dorf zu kämpfen hatte und teilweise auch noch hat, um neben dem Deutschen und Italienischen seine ureigene Sprache und Kultur – das Zimbrische – zu bewahren und seine Besonderheiten anerkannt zu bekommen. Er führt uns in das erst vor wenigen Jahren neu gegründete Dokumentationszentrum der heute nur noch 300 Seelen zählenden Gemeinde, in dem mit viel Liebe zum Detail, aber auch mit schier unendlicher Mühe Zeugnisse der teils schrecklichen Vergangenheit - besonders des ersten Weltkrieges - zusammengetragen werden, um diese Volksgruppe nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und auch, um die abgewanderten jüngeren Dorfbewohner wieder an die Traditionen heranzuführen. Nach mehr als zwei Stunden verlassen wir den Bürgermeister, nicht ohne noch angestoßen zu haben auf eine neue herzliche Bekanntschaft; er ist spürbar glücklich, dass eine Gruppe von jungen Erwachsenen – von jungen Europäern, wie er sagt – den Weg in die Abgeschiedenheit seiner Heimat gefunden hat. Wir haben jedoch den Eindruck, dass dieser kurze Besuch nicht mehr war als ein schwacher Augenaufschlag des sonst schlafenden Dorfes, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

        Wir haben uns vorgenommen, von Luserna aus ins Tal zurück zu wandern. Der weite Weg ist Teil des europäischen Fernwanderweges E5, der Bregenz am Bodensee mit Venedig verbindet, also quer über die Alpen verläuft. Auf unserem Teilstück folgen wir dem Kaiserjägerweg, der von den Österreichern im ersten Weltkrieg angelegt wurde. Wir kürzen die heute meistens geteerte Serpentinenstraße, die allerdings nicht für den Autoverkehr zugelassen ist, nicht selten durch zwar markierte, aber nicht sehr bequeme, weil holprige, manchmal steile Wege ab. Der immer wiederkehrende grandiose Ausblick in das sonnige Tal mit den beiden Seen von Caldonazzo und Levico entschädigt für die Anstrengungen, sicher auch für manche Ängste, besonders nachdem wir wegen einer Sperrung vom geplanten Weg abgehen und einen unbekannten, wenn auch wieder sorgfältig markierten Pfad zum teils mühsamen Abstieg benutzen müssen. Erleichtert schauen wir uns immer wieder um, nachdem wir im Tal angekommen sind, und können kaum glauben, aus welcher Höhe wir den Abstieg geschafft haben.

        „Venedig sehen und dann sterben!“ Wohl niemand von uns kann diesen Ausspruch nachempfinden, aber wenn man in Oberitalien verweilt, ist der Besuch der Stadt ein Muss. Natürlich sind wir vorbereitet; etliche Referate haben uns schon zu Hause eingestimmt, so dass die Stadt kaum noch Überraschungen bereit hält, aber dennoch ist der eigene Eindruck nicht zu ersetzen. So wird die Fahrt durch den Canale Grande zu einem unvergesslichen Erlebnis, zeugen die Palazzi doch vom Ruhm längst vergangener Epochen, aber leider auch vom drohenden Verfall in unserer Zeit. Wie überall jedoch beeinträchtigt das Wetter auch hier die Stimmung: im Regen wirkt fast alles trist, und man ist noch weniger bereit, die unzähligen Tauben, die Menschenketten vor dem Markusdom oder gar die weit überhöhten Preise in den Restaurants, Bars oder Pizzerien zu akzeptieren oder Souvenirs zu kaufen, die man sowieso nicht braucht. Eine freundliche alte Dame verwickelt mich auf der Rückfahrt zum Busparkplatz in ein Gespräch, erkundigt sich interessiert nach unserer Herkunft, nach unserem Programm vor Ort, und sie spürt, dass wir Venedig eigentlich nicht mögen. „Wissen Sie, ich bin Venezianerin und lebe seit 87 Jahren in dieser Stadt. Was Sie gesehen haben, das ist nicht das reale Venedig; es ist irreal, ja irrational, ein Albtraum, das reale Venedig existiert nicht mehr, mi dispiace molto!“

        Die zweite Bergwanderung führt uns am vorletzten Tag von 1500 m auf etwa 2000 m Höhe. Der Aufstieg ist zwar überhaupt nicht steil, aber er verlangt wegen der Länge schon Kondition und Durchhaltewillen. Nicht nur eine(r) von uns fragt sich, warum man sich das antut, ahnt man doch noch nicht, welch grandioses Panorama sich bieten wird. Enttäuscht müssen wir feststellen, dass die als Raststation vorgesehene Hütte „Refugio Malga Masi“ abgerissen ist; die neue befindet sich noch im Bau. So verspreche ich, dass wir nach weniger als einer weiteren Stunde das Ziel, die Hochebene „La Bassa“ erreichen werden. Der Blick über die teilweise bereits schneebedeckte Brentagruppe ist beeindruckend und für viele von uns Anreiz, noch höher hinaus zu wollen. Die Bergspitze von „La Fontanella“ erscheint zum Greifen nahe, und so wagen sich fast alle an diesen scheinbar harmlosen Aufstieg. Wir bleiben unten und verkriechen uns in Erdmulden, um dem empfindlich kalten Wind nicht ungeschützt ausgesetzt zu sein, der am blauen Himmel die weißen Wolken zusammentreibt und ahnen lässt, wie schnell das Wetter in den Bergen umschlagen könnte. Überwältigt von der Rundumsicht über die Dolomiten und ihre Täler (dort leben u.a. die ebenfalls deutsch sprechenden Fersen, die mit den Bewohnern von Luserna für ihre gemeinsamen Belange kämpfen) kehren die Schüler erschöpft nach mehr als einer Stunde zurück: so schwierig, aber auch so schön hatten sie sich diesen Zusatzausflug nicht vorgestellt.

        Mediterrane Milde und alpine Felsengewalt, der Reichtum einer Handelsstadt, Geschichte als Erlebnis zwischen Nord und Süd, die Stadt im Schnittpunkt der Kulturen: so wirbt Bozen für sich selbst, und es ist wahr! Die schattigen Bozener Lauben beherbergen edle Geschäfte, der Obstmarkt zeigt sein farbenfrohes Überangebot an frischen Waren, das Franziskaner-Kloster mit dem interessanten Kreuzgang lädt zur Besinnung ein, und die zahlreichen Straßencafés verführen geradezu zum Verweilen, zum Beobachten des geschäftigen Treibens: italienischer Schick und deutsche Gemütlichkeit gehen eine faszinierende Symbiose ein, und es ist schon beneidenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit jeder sowohl italienisch als auch deutsch fließend spricht: Bozen ist gelebte Globalisierung, wenn auch durch die Geschichte erzwungen.

        So neigt sich die Studienfahrt ihrem Ende entgegen, und fast alle sind beeindruckt von den vielen unterschiedlichen Wahrnehmungen. Nur fast alle, denn eine von uns musste wegen einer ernsten Infektion schon am zweiten Tag ins Krankenhaus nach Trento eingeliefert werden und blieb die ganze Woche dort. Anna war nicht alleine: für Lutz Böttcher war es mehr als selbstverständliche Pflicht, jeden Tag bei ihr zu sein und sie zu unterstützen. Unser Hotelwirt Signor Angeli erwies sich in diesen Tagen als unersetzliche Hilfe: schon vor dem Frühstück wusste er, wie es Anna ging, und berichtete uns von seinen Telefonaten; er verhandelte mit den Ärzten und dem Pflegepersonal, damit es ihr an nichts mangelte und wir sie auch wirklich am Freitag mit nach Hause nehmen konnten; nicht zuletzt fuhr er Herrn Böttcher mehrmals nach Trento und zurück („Ein Taxi ist viel zu umständlich. Ich habe doch Zeit!“). Als auch noch Frau Angeli als ehemalige Krankenschwester die ambulante Versorgung Annas im Hotel fortsetzte, waren wir schier überwältigt ob solcher Gastfreundschaft. „Nein, nein“, wehrte Herr Angeli unseren Dank ab, „das ist doch unter Freunden selbstverständlich!“ Und er meinte es ernst, als er uns Lehrer auch im Namen seines Personals beglückwünschte, dass wir so nette junge Menschen („Bravi ragazzi!“) betreuen dürfen.

        Wehmütig verlassen wir am nächsten Morgen das Hotel, und wir hoffen, eines Tages wieder zu kommen.

        W. Fleger
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